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Leseproben

Märchen - Fabeln - Geschichten

 

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Das vergessene Märchenland

 

Im Land der längst vergessenen Märchenfiguren, mitten im Wald, lebt die kleine Hexe Sputedichschnell. In ihrem arg beschädigten Häuschen wohnt sie nun schon seit vielen, vielen Jahren mit ihrem Raben Kraxel und der Katze Schnurreburz.

Obwohl der tausendjährige Kalender auf Sommer zeigt und die Sonnenstrahlen mit Macht die schwere Wolkendecke zu durchdringen versuchen, zerrt und rüttelt seit einigen Tagen ein brausender Sturm am Dachgiebel des Hexenhauses. Einige Schindeln liegen zerbrochen am Boden und in der Decke klafft ein großes Loch, sodass der Regen ungehindert in den Raum fließt. Der Wind fährt heulend und pfeifend durch sämtliche Ritzen der baufälligen Kate.

Sputedichschnell kann sich nicht erklären, warum just in diesem Jahr das Wetter solche Kapriolen schlägt mit dermaßen verheerenden Auswirkungen. Sogar die robusten Eichen reiben ächzend ihre Äste aneinander. Stöhnend beugen die sonst so majestätisch wirkenden Bäume ihre Häupter dem Waldboden entgegen, während eine unheimliche Stimme dem knorrigen Geäst entweicht:

 

Zerfallen wird das Märchenland,

vernichtet durch des Menschen Hand.

 

„Wenn das so weitergeht“, murmelt Sputedichschnell mit einem ängstlichen Blick auf die wuchtigen Riesen, „verliere ich noch mein Zuhause!“

 

Der tugendhafte Müller

 

In einem kleinen Königreich lebte einst ein fleißiger Müller, dem zum vollkommenen Glück allein ein holdes Weib zur Seite fehlte. Da er aber noch jung an Jahren war, eilte es ihm damit nicht. Zufrieden mahlte er am Tage das Korn in seiner Mühle und labte sich des Abends an dem, was er durch seiner Hände Arbeit verdient hatte.

Es war ein wohlhabendes Land und die Menschen besaßen alles im Überfluss. Jahr um Jahr standen die Felder hoch in der Frucht, die Flüsse bargen ertragreiche Fischgründe und die Wälder lieferten gutes Holz. Das Reich blühte zusehends auf, sodass der Handel mit anderen Ländern den Leuten Wohlstand und Ansehen brachte. Dennoch, je besser es ihnen ging, umso unzufriedener und des angenehmen Lebens überdrüssig wurden die Bewohner. Sie übten keinerlei Wohltätigkeit und empfanden keine Nächstenliebe füreinander. „Was kümmert mich der Nachbar, wenn mein eigenes Säckel noch nicht bis oben hin gefüllt ist“, sprachen sie hartherzig. Gegenseitige Zuneigung und Liebe waren längst verloren gegangen. Viele strebten so gierig nach Reichtum und Macht, dass sie dafür sogar ihre Mitmenschen betrogen. Andere raubten, was ihnen nicht freiwillig gegeben wurde, und manche schreckten nicht davor zurück, brave Bürger wegen einiger Silberlinge zu erschlagen. Niemand hegte Mitgefühl mit seinem Nächsten oder nahm Anteil an dessen Schicksal.


Diesen Missstand bemerkte eine Fee. Sie wurde sehr zornig darüber, dass die Menschen einander Hab und Gut neideten. Deshalb sandte sie eine große Trockenheit über das ganze Reich, welche das Getreide auf den Feldern vernichtete. In der Mühle befand sich somit kein Korn mehr, um daraus Mehl zu mahlen und der Bäcker konnte nicht einen Laib Brot backen. Nach einiger Zeit ließ die anhaltende Dürre all jene Flüsse versiegen, in deren klaren Wassern sich einst Fische tummelten, um als köstlich duftendes Abendmahl im Topf zu schmoren. Gewaltige Feuersbrünste verwüsteten die Wälder. Das Holz lag verkohlt danieder, und der Wohlstand ging zurück. Armut überzog das Land. Bald herrschte gar bittere Not und von Stund an darbte das Volk kläglich. Die Entbehrungen wurden immer größer, sodass sich Krankheiten in Windeseile ausbreiteten.

 

Die Wurzelwichte

 

Tief verborgen unter der Erdoberfläche, zwischen den knorrigen Wurzeln einer alten Buche, lebte einst das Volk der Wurzelwichte. Seit Jahrhunderten gehörte es zu ihren Aufgaben, Pflanzen und Bäume des Waldes zu schützen, um diese alljährlich im Frühjahr durch magische Kräfte zu neuem Leben zu erwecken. Unermüdlich gruben die Gnome lange unterirdische Gänge, damit die Wurzeln den Weg ins Erdreich fanden und sich dort festkrallen konnten. Fröhlich gingen die hutzeligen Männer ihrem Tagwerk nach und trieben allerhand Schabernack dabei.

„He, Wurzelnase, pass auf, gleich stößt dein Kopf gegen eine Schaufel und du wirst eine dicke Beule dein Eigen nennen!“, rief Knollnase und zog Wurzelnase die flache Seite der Schippe über, während sich die anderen ihre kleinen runden Bäuche vor Lachen hielten.

Die Wichte waren nicht zimperlich, wenn es um solche Art von Streichen ging, auch besaßen sie einen ganz eigenen Humor. Der so Verspottete nahm nun seinerseits das Seil, welches er über der Schulter bei sich trug, band eine Schlaufe und warf es Knollnase über den Kopf bis zu den Füßen. Dann zog er flink die Schlinge zu und ehe das verdutzte Männlein sich versah, saß es auch schon auf dem Hosenboden. Nun hatte Wurzelnase die Lacher auf seiner Seite und Knollnase musste das schadenfrohe Gespött der anderen aushalten. Das bekam der Oberwicht mit und schimpfte heftig, ob der Gefährlichkeit solch rauer Sitten. Beschämt blickten die beiden Gesellen in die Runde.

 

Die Gerichtsverhandlung

 

Auf einer Lichtung im Wald saß das Publikum dicht gedrängt in den Bänken. Plötzlich wurde es in den Zuschauerreihen mucksmäuschenstill und alle erhoben sich von ihren Plätzen.

Richterin Ambrosia Eule und ihre Beisitzer betraten das Waldgericht und nahmen am Richtertisch Platz. Heute sollte ein besonders scheußliches Verbrechen zur Verhandlung kommen.

 

Ambrosia blickte über ihren Brillenrand hinweg in die Runde der Anwesenden und erteilte Staatsanwalt Rufus Storch das Wort. Dieser räusperte sich, rückte sein Monokel zurecht und begann die Anklageschrift zu verlesen.

„Hohes Gericht, meine Damen und Herren. Wir sind heute hier zusammengekommen, um über ein außerordentlich schweres Verbrechen zu Gericht zu sitzen. Die Angeklagte hat sich des Einbruchs, in Tateinheit mit schwerem Diebstahl, schuldig gemacht. Sie ist in das Nest der Geschädigten, Frau Rosa Amsel, eingebrochen und hat drei ihrer fünf Eier gestohlen.“

„Frau Richterin, das stimmt so nicht!“

„Pst, ganz ruhig!“

Rechtsanwalt Wolfgang Specht versuchte seine Mandantin wieder auf ihren Platz neben sich zu ziehen. Dabei hatte er ihr eine Feder ausgerissen, was ihm sichtlich peinlich war.

 

Das Froschkonzert

 

Im Garten herrschte eine rege Betriebsamkeit. Seit Tagen schon versammelten sich allabendlich die Chormitglieder aus der näheren Umgebung auf der Wiese am Rande des Teiches. Sie probten für das große Konzert, das zum Ende des Sommers stattfinden sollte.

 

Oskar Frosch war mit seiner ganzen Familie angetreten, um an diesem wichtigen Ereignis teilnehmen zu können. Seine fünf Kinder waren sein ganzer Stolz und eines quakte schöner als das andere. Bis auf … ja, bis auf sein Jüngstes. Felix hatte so gar nichts von dem Talent seiner Eltern geerbt und sein Quaken hörte sich schauderhaft an.

„Das ist ja unerträglich“, schimpfte der Chorleiter, klopfte mit seinem Dirigentenstab auf das vor ihm stehende Pult und sah Felix strafend an. „Das ist kein melodisches Quaken, das ist eine einzige Katastrophe.“

Felix ließ die Schultern hängen und schaute beschämt in die Runde der anderen Frösche, die ihn schadenfroh angrinsten. Was hatten sie nur alle? Er gab sich doch die größte Mühe und außerdem machte ihm das Quaken mächtigen Spaß. Er fand gar nicht, dass sein Gequake um so vieles schlechter war, als das der Anderen.

Entschlossen nahm Oskar seinen Sprössling zur Seite.

 

Frühlingserwachen

 

 Die Vögel zwitscherten, ein Eichhörnchen huschte über den Weg und kletterte am Stamm einer großen Buche hinauf. Die Sonne schickte ihre ersten wärmenden Strahlen zur Erde und die Knospen an den Sträuchern ließen erahnen, in welcher Farbenpracht sie in nicht allzu langer Zeit die Wege des Parks zieren würden.

Einsam saß der alte Mann auf einer Bank und hing seinen Gedanken nach. Gedanken, die ihn immer wiederkehrend bewegten. Gedanken, die ihn quälten und die ihn die Schönheit seiner Umwelt und den kommenden Frühling nicht wahrnehmen ließen. Dem lustigen Gezwitscher der Vögel hörte er nicht zu. Mit keinem Blick beachtete er das geschäftige Treiben des Eichhörnchens, welches von Ast zu Ast sprang und sich an den Zweigen festkrallte. Auch fühlte er nicht, wie die wärmenden Strahlen der Sonne seine faltige Haut berührten.

Er dachte daran, was er wohl in seinem Leben falsch gemacht hatte. Er war allein und niemand sorgte sich um ihn. Es gab auch niemanden mehr, um den er sich sorgen musste. Er hatte keinen, mit dem er ein Gespräch führen oder seinen Lebensabend genießen könnte.

Seine Frau war schon lange verstorben und sein Sohn war ins Ausland gegangen, weil dieser hier in seinem Beruf keinen Job gefunden hatte und sich in der Fremde viel bessere Möglichkeiten boten. Mittlerweile war der Junge verheiratet und seit ein paar Jahren war der alte Mann sogar schon Großvater. Aber er kannte sein Enkelkind noch nicht. Auch seinen Sohn und seine Schwiegertochter hatte er seit langem nicht gesehen. Ja, ab und zu bekam er mal einen Brief, aus dem er entnehmen konnte, dass es der kleinen Familie gut ging. Er war sehr froh darüber und gönnte ihnen von Herzen ein glückliches und erfülltes Leben.

Auch er hatte früher ein erfülltes Leben gehabt. In den Jahren der Dienstzeit ging er pflichtbewusst seiner Arbeit nach, hatte angenehme Arbeitskollegen, ein harmonisches Familienleben und zahlreiche Freunde. Er führte ein geselliges und aktives Leben.

 

Schmetterlinge im Bauch

 

Theresa beugte sich über den offenen Koffer und ging in Gedanken noch einmal alles genau durch, was sie für den Urlaub einpacken musste. Beschwingt legte sie noch einige Handtücher zuoberst auf die ordentlich sortierten Sachen, die schon im Koffer waren. Sie fühlte sich wie ein junges Mädchen, das zum ersten Mal, ganz alleine, ohne die Eltern in die weite Welt hinausfuhr. Oder besser gesagt – in die weite Welt hinausflog. Ihr Reiseziel war Mallorca. Mein Gott, dachte sie, Meer, weißer Sand und Sonne pur. Endlich, seit 10 Jahren das erste Mal wieder Urlaub.

 

Theresa war 50 Jahre und seit 30 Jahren mit Robert verheiratet. Sie hatten, zugegeben zwei prachtvolle Kinder und mittlerweile 5 Enkelkinder. Ihre Ehe war mal mehr, mal weniger glücklich verlaufen. Ja, sie war einfach eingeschlafen. Robert und sie hatten nie wirklich Streit, aber sie lebten schon seit Jahren einfach so nebeneinander her.

Jeder hatte seinen Bereich im Haus und seine Aufgaben. Während sie sich um die Hausarbeit und den Garten kümmerte und an drei Tagen in der Woche zwei ihrer Enkelkinder beaufsichtigte, stand Robert noch mitten im Geschäftsleben. Manches Mal, wenn sie abgeschlagen von der eintönigen Hausarbeit abends noch ein wenig vor dem Fernseher saß und ihr dabei immer wieder die Augen zufielen, fragte sie sich, ob das wohl alles gewesen sei, was das Leben ihr zu bieten hatte? Immer das gleiche Einerlei. Waschen, putzen, Hemden bügeln, Essen zubereiten, den Garten in Ordnung halten. Kinder und später dann auch noch die Enkelkinder. Sicher, sie liebte ihre Kinder über alles und auch ihre Enkelkinder waren ihr ganzer Stolz.

Aber irgendwie fehlte ihr etwas in ihrer Familie und erst recht in ihrer Beziehung zu Robert. Vielleicht war sie auch einfach nur überarbeitet. Um so mehr freute sie sich jetzt auf eine Woche Urlaub am Meer.